Religiöses Fieber

Im Jahre 1077 eroberten Seldschuken, ein muslimisches Turkvolk, von den Byzantinern die Stadt Jerusalem. Da sie auch sonst das byzantinische Kaiserreich bedrohten und dessen Heer geschlagen hatten, wandte sich der byzantinische Kaiser Alexios Komnenos um Hilfe an Westeuropa.

Sein Ruf wurde erhört. 1095 rief Papst Urban Ü. auf einem Konzil im französischen Clermont-Ferrand zum Kreuzzug auf. Urban war ein frommer, durch die cluniazensische Klosterreform geprägter Mensch; offenbar erhoffte er sich durch die Aktion auch eine Wiedervereinigung der seit 1054 förmlich in Ost- und Westkirche gespaltenen Christenheit, natürlich unter dem Primat des Papstes.

Das Echo, das Urbans Aufruf fand, war außerordentlich. Angeheizt von vielen meist namenlosen Predigern, wurde zunächst das französische Volk von einem religiösen Fieber erfasst, das gelegentlich den Grad der Hysterie erreichte. Solche Emotionen sollten den Kreuzzügen erhalten bleiben und dies über Frankreichs Grenzen hin- weg, es hatte dies mit der tief verwurzelten Volksfrömmigkeit des christlichen Hochmittelalters zutun und mit chiliastischen Heilserwartungen, die sich auch sonst immer wieder manifestierten.

Für die Teilnehmer an den Kreuzzügen galt ein besonderer Codex. Sie unterstanden dem kanonischen Recht, das von einer weitgehenden Gleichheit aller Menschen ausging, unabhängig von Stand und Geschlecht, Außerdem eröffnete sich die Aussicht auf Abenteuer und Gewinn; materieller Vorteil blieb für die Teilnahme immer mindestens ebenso bedeutsam wie alle Zuwendung für das Seelenheil. Auch der in Mitteleuropa herrschende Bevölkerungsdruck spielte seine Rolle, die Kreuzzüge stellten unter anderem eine Expansions- und Siedlungsbewegung mit frommer Begründung dar. Gleichermaßen wurde der rein immaterielle Zuwachs für die Teilnehmer erheblich. Sie trafen auf fremde Kulturen und Gewohnheiten, und wie militant und gelegentlich blutig es dabei zuging, etwas blieb bei diesen Berührungen haften.

Der Erste Kreuzzug begann im Jahre 10%. Teilnehmer waren vor allem französische, lothringische und normannische Ritter: Sie zogen nach Konstantinopel, eroberten erst einmal Anatolien und schließlich, im Juli 1099, die heilige Stadt Jerusalem. Bei alledem ging es überaus blutig zu. Die eroberten Gebiete wurden dann christlicher Oberhoheit unterstellt, es gab ein Königreich Jerusalem, es bildeten sich zahlreiche christliche Herrschaften an der Levante auch sonst. Der Kreuzzug war rundum ein Erfolg. Die Teilnehmer, die sich nicht im Heiligen Land niederließen, kehrten stolz in ihre Heimat zurück. Eine Gruppe von Rittern hatte sich im vermeintlichen Tempel des biblischen Königs Salomo einquartiert, auf der Straße von Jaffa nach Jerusalem; ihre Aufgabe War der militärische Schutz christlicher Pilger, später widmete man sich zusätzlich der Krankenpflege. Die Ritter beschlossen, sich eine eigene geistliche Organisationsform zu schaffen, die sich nach dem Gründungsort Templerorden nannte. Nach diesem Modell bildeten sich noch weitere Rittervereinigungen; einer von ihnen, der Deutschritterorden, würde später seinen Hauptsitz von Venedig auf die Marienburg in Pommerellen verlegen und eine maßgebliche Rolle bei der Ostkolonisation spielen.

1147 hatten die Seldschuken den christlichen Kreuzfahrerstaat Edessa in Syrien erobert, worauf- hin zum Zweiten Kreuzzug aufgerufen Wurde, dem sich außer dem französischen und dem sizilianischen Herrscher auch der deutsche Stauferkönig Konrad ÜI. anschloss, Diesmal wurden die angestrebten Ziele durchweg verfehlt, das Unternehmen war entschieden miserabel vorbereitet und endete entsprechend schlecht. In der Folgezeit eroberte der ägyptische Sultan Saladin, eigentlich Salah ad-Din Jusuf ibn Ajub und ein gebürtiger Kurde, fast das gesamte Königreich Jerusalem, was Anlass für den Dritten Kreuzzug war. Der Auf- wand war abermals enorm, und obschon das Unternehmen diesmal etwas besser organisiert war, blieb das Ergebnis wiederum mager. Jerusalem wurde von Saladin gehalten.

Ebenso brachten dann die weiteren Kreuzzüge im Verhältnis zu dem Aufwand, der für sie betrieben wurde, kaum nennenswerte Ergebnisse. Es kam zu politischen Konflikten mit Byzanz, sogar zu einer zeitweiligen lateinischen Oberhoheit in Konstantinopel, die freilich wieder abgeschüttelt wurde. Die Kreuzzugsidee degenerierte zur Perversion des so genannten Kinderkreuzzugs von 1212, an dem Kinder aus Frankreich und aus den Landschaften des Niederrheins, meist Sprösslinge aus armen Familien, nach Jerusalem ziehen sollten, insgesamt 50 000. Viele kehrten um, andere zogen über die Alpen Lind verschwanden, wahrscheinlich wurden sie in die Sklaverei verkauft.

Welche zivilisatorische Attraktion die Aufbrüche ins Heilige Land, aller Beschwer und allen Misserfolgen zum Trotz, für die Beteiligten darstellten, schildert die französische Historikerin Regine Pernourl am Beispiel der missglückten Unternehmung Von 1148, die Szene ist Antiochia:

»Lärmende Freude erfüllte den kleinen Hafen von Saint- Siméon. Zahlreiche Barken umtanzten die Schiffe der königlichen Flotte, während sich am Ufer eine Prozession von Priestern in weißen Chorhemden einen Weg durch die fröhliche Menge bahnte und alle Kirchenglocken leuteten. Beim Klänge des Tedeum gingen der König und die Königin von Frankreich an Land und wurden von einer großen Schar von Rittern mit Jubelrufen und überschwänglicher Begeisterung begrüßt.

(…)

Es war der 18. März 1148; seit zehn Monaten waren sie unterwegs. Antiochia war für sie und ihre Gefährten wie ein Hafen des Friedens. Die prächtige, fest gebaute Stadt, die sich auf sanften Hangen dem Meer zuneigt, mit den Höhen von Djebel Akkra im Hintergrund, wirkte in ihrem frischen Grün wie eine Oase. Der Fluss Orontes bringt ihr durch eine enge Schlucht, die am Fuß der Burg mündet, die kühle Bergluft und das Schmelzwasser des Schnees, Terrassenförmige Gärten ziehen sich bis zu den hoch gelegenen Stadtteilen hinauf. Über zwölf Kilometer lang waren damals die Wälle, dreigeschossige Türme unterbrachen sie (man erzählt, es habe 360 Türme gegeben, alle 30 Meter einen). (...) In der Kathedrale Saint-Pierre wurde einem noch das Grabmal des Bischofs Adhémar du Puy gezeigt, der die ersten Streiter für die Wiedereroberung des Heiligen Landes angeführt hatte. Noch manche andere Kirche erhob ihren Glockenturm über die kleinen Basargässchen, so Saints-Côme-et-Damian, Sainte-Marie-Latine und Saint-Jean-Chrysostomos. Unter ihnen stapelten sich die mannigfachen Waren des Mittleren Orients; auf den Märkten türmte sich das Obst. Die ganze Umgegend war ein einziger üppig bewässerter Garten. An den Hängen strich ein sanfter Wind durch das graugrüne Laub der Ölbäume.««

Insgesamt gab es sieben große Kreuzzüge, den letzten im Jahre 1270. Die christlichen Bastionen im Nahen Osten gingen eine nach der anderen wieder verloren, auch in Nordafrika, früher das Einflussgebiet von Byzanz, konnte das Vordringen des Islam nicht aufgehalten werden. Im 15. jh. wurde dann der gesamte Balkan muslimisch.

(Quelle: Dieter Hägermann (Hrsg.): Das Mittelalter - Die Welt der Bauern, Bürger, Ritter und Mönche, RM-Buch-und-Medien-Vertrieb, 2001)