Lebensumstände

Der mittelalterliche Adel wohnte anfangs auf befestigten Höfen, die allmählich den Namen und die Gestalt einer Burg annahmen. Man darf sich noch nicht jene Anlagen des späten Mittelalters vorstellen, die als steinerne Denkmäler übernommen sind; die Burgen des frühen Mittelalters wurden aus Hölzern errichtet, dem damals üblichsten Baumaterial, und sie waren zunächst nicht mehr als ein Turm. Er bot Unterbringung und Schutz auf engstem Raum. In mehreren Stockwerken ließen sich Vorräte, Vieh, Flüchtlinge, die Adelsfamilie und ihr Gefolge aufnehmen.

Von der Turmspitze aus konnte Beobachtung vorgenommen werden. Um dessentwillen wurde, wenn es die geologische Situation bergab, ein solcher Turm bevorzugt auf einen Hügel oder Berg gestellt. Zur besseren Verteidigung zog sich rund um die Anlage ein Palisadenzaun oder ein Erdwall, vor dem, wie in Walter Scotts Rotherwood. als ein zusätzliches Hindernis für mögliche Eindringlinge ein Wassergraben verlief.

Der Turm ist die Urform aller Burgen; als Bergfried blieb er noch den späteren Anlagen erhalten. Die Umzäunung gab Platz und Möglichkeit für weitere Gebäude wie Vorratshäuser, Stallungen, zusätzliche Wohntrakte und dann auch für eine eigene Kapelle.

Auf solche Weise entsteht dann die Burgform der späteren Jahrhunderte. Die Palisaden werden höher. Man ersetzt sie durch Mauerwerk. Auch diese Substitution des Baumaterials Holz durch Stein erfolgt relativ spät, denn Steine sind nicht nur schwieriger zu transportieren, sondern auch ziemlich teuer, und allemal sind sie deswegen zunächst das Privileg von besonders begüterten Aristokraten. Außerdem braucht es dazu ausgebildete Arbeiter, Maurer, während für die hölzernen Bauten im Rahmen ihrer Frondienste die Bauern herangezogen werden können.

Man lebt in den Burgen nicht besonders komfortabel, auch da ist Rotherwood ein durchaus repräsentatives Beispiel. Fast alles wird gemeinschaftlich unternommen, die Mahlzeiten wie das Schlafen. Darin ähnelt die Burg dem Bauernhof, doch ebenso kann man gewisse Ähnlichkeiten zwischen Burgbauten und Klosteranlagen erkennen. Auch im Übrigen stimmen die beiden Einrichtungen vielfach überein: in ihren inneren Hierarchien, in dem Umstand, Wohnstatt für größere Menschengruppen zu stellen, sowie in dem kollektiven Bewusstsein einer gesellschaftlichen Exklusivität. Architektur ist stets der Ausdruck einer bestimmten Aufgabe und einer besonderen Gesinnung. Die Kleidung des Adels ist, in den Anfängen, nicht sehr viel anders als die der Bauern. Das ändert sich im Verlauf der Jahrhunderte. Kleidung wird zu einem Standesmerkmal, bestimmte Kostüme signalisierten eine bestimmte gesellschaftliche Zugehörigkeit. Dabei bleiben sie ihrerseits jenem Wandel unterworfen, den wir als Mode kennen und der im mittelalterlichen Zentraleuropa in festen Richtungen verläuft: sozial immer von oben nach unten, geographisch immer von Süden nach Norden und von Westen nach Osten.

Die Vorbilder kommen zum Beispiel aus Byzanz und dem arabischen Orient; sie werden, mitsamt zugehörigen Materialien, durch die Fernkaufleute importiert. Es handelt sich um farbige Kleidungsstücke von extravagantem Schnitt. Die Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Garderobe verstärken sich, wobei die männliche Kleidung in jenen Jahrhunderten sehr viel üppiger und farbiger ausfallen kann als die weibliche.

An neuen textilen Materialien schafft der Fernhandel aus dem Orient Seide und Baumwolle nach Mitteleuropa. Dem Vorbild der byzantinischen Führungsschicht folgend, setzt sich im Hochmittelalter ein bis dahin unbekannter Kleiderluxus durch, immer ergänzt durch Schmuck, durch Perlen, durch Juwelen und Gold, die teilweise direkt an die Kleider appliziert werden; Perlen verzieren Borten, Goldblättchen werden auf den Stoff gebracht, Knöpfe bestehen aus Juwelen. Kleider haben Schleppen, und ihre Ärmel fallen weit. Mäntel sind mit kostbaren Pelzen gefüttert.

Immer wieder entschließen sich schreibende Moralisten, den expandierenden Kleiderluxus mit schneidenden Worten zu tadeln. Sie finden auch Widerhall: bei jenen, die sich dergleichen nicht leisten können. Eine andere Wirkung haben sie nicht. Die textil ausstellbare Eitelkeit bleibt so unerschütterlich wie der Sexualtrieb und der Hunger.

(Quelle: Dieter Hägermann (Hrsg.): Das Mittelalter - Die Welt der Bauern, Bürger, Ritter und Mönche, RM-Buch-und-Medien-Vertrieb, 2001)