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Die Zeit ist das Ende des 12. Jh., der Ort Rotherwood, ein mittelenglischer Adelssitz, gelegen in der Gegend von Sheffield und Doncaster. Im Land regiert die königliche Dynastie Plantagenet, die eigentlich aus dem französischen Anjou stammt; Throninhaber ist Richard, genannt Löwenherz, ein überaus beliebter Raufbold, der von den zehn Jahren seiner Herrschaft indessen weniger als ein Jahr auf der britischen Insel zugebracht haben wird. Lieber hält er sich in Frankreich auf, um dort seine Ansprüche zu behaupten, oder im Heiligen Land, denn er wurde Teilnehmer eines Kreuzzugs, und als er von diesem heimkehren will, wird er in Österreich inhaftiert, aus welchem Zustand ihn nur ein horrendes Lösegeld freikaufen kann. Im Land verblieb sein Bruder Johann, der ihm dann auch auf dem Throne folgen wird. Er ist finster, arrogant und unbeliebt, er bringt den tonangebenden Adel gegen sich auf und wird es schließlich mit jener berühmten Einschränkung seiner Souveränität bezahlen müssen, die als Magna Charta zu den frühesten Dokumenten einer etatistischen Gewaltenteilung zählt. Zu seinen adeligen Widersachern gehört Cedric von Rotherwood. Man nennt ihn Cedric den Sachsen, da er ein direkter Abkömmling der alten angelsächsischen Aristokratie ist, worauf er auch großen Wert legt und womit er sich in Gegensatz stellt zu jener normannischen Oberschicht, die zusammen mit Wilhelm dem Eroberer ins Land kam und die nach dessen Sieg in der Schlacht bei Hastings die Schlüsselstellungen der Gesellschaftsordnung einnahm. Das alles ist fast anderthalb Jahrhunderte her. Die ethnischen Unterschiede in der Herrschaftsebene haben sich längst eingeebnet, doch eine gewisse Animosität zwischen den beiden Ethnien hat sich erhalten, bei der bäuerlichen Bevölkerung sowieso, doch ein wenig auch bei den Rittern, wiewohl es zu mehr, als Folklore nicht reicht. Bei Hofe, der seinerseits intimste Verbindungen in den französischen Kulturkreis unterhält, bleiben freilich die allein schon durch ihre Namen eindeutig als normannisch ausgewiesenen Ritter erkennbar im Vorteil.
Cedric von Rotherwood hat einen Sohn, der zusammen mit Löwenherz nach Jerusalem zog. In seinem Hause lebt unterdessen Rowena, sein Mündel. Sein Landsitz so eine spätere Schilderung besteht aus einem ››niedrigen, unregelmäßigen Gebäude, das mehrere Hofräume und Umzäunungen von bedeutendem Umfang einschloss. Obgleich man daraus auf den Reichtum des Eigentümers schließen konnte, war doch das Haus gänzlich verschieden von den hohen, schlossartigen, mit Türmen versehenen Gebäuden, in denen der normannische Adel wohnte… Die Anlage habe natürlich auch Verteidigungseinrichtungen besessen: Ein tiefer Graben, den der nahe Strom mit reichlich Wasser versah, umgab das ganze Gebäude. Doppelte Palisaden, die der nahe Wald lieferte, beschützten den Graben von außen und innen; von Westen her führte ein Eingang durch die äußeren Schutzwehren über eine Zugbrücke, die eine gleiche Öffnung nach den inneren Palisaden hatte. Die Eingänge waren auf beiden Seiten der Brücke durch vorspringende Ecken verteidigt, die im Falle der Not mit Bogenschützen oder Schleuderern besetzt werden konnte.
Im Inneren gibt es eine große Halle, mit einem riesigen Tisch, der aus roh behauenen Planken besteht. Es gibt dort keinen Plafond, der Blick geht direkt in die Balken und Strohballen des Dachs. Nicht anders als in einem Bauernhaus durchzieht der Rauch von der Feuerstelle den gesamten Raum, ehe er durch das Dach entweichen kann, weswegen die Balken überzogen sind »mit einem Firnis von Ruß«. An den Wänden hängen Jagd- und Kriegsgeräte. Der spürbare Mangel an Eleganz und Komfort sei ein bewusster Tribut des Hausherrn an die »raue Einfachheit der Sachsenzeit«.
Auch die kannte, versteht sich, ihre ständischen Abstufungen, die äußerlich kenntlich zu machen waren. Cedric verfügt über seinen durch eine Erhöhung des Bodens deutlich abgehobenen Abschnitt der Halle, Dais geheißen, vorbehalten nur ihm, seiner Familie und besonders vornehmen Gästen. Hier gibt es geschnitzte Eichenholzstühle und eine Art von Thronhimmel, dazu gedacht, »gegen Sturm und Regen zu schützen, der hier und da das schlechte Dach durchdringt, Der Fußboden ist hier mit einem Teppich bedeckt, wogegen es sonst in der Halle nur festgestampften Lehmboden gibt. Die Farben der Textilien seien ››glänzend«« und ››schreiend««. Das Festhalten an alten angelsächsischen Sitten ist dem guten Geschmack demnach nicht unbedingt förderlich. Cedric wird als breitschultrig geschildert, von mittlerer Größe und »von kräftigem starken Gliederbau«. Sein Haar ist blond, mit grauen Strähnen, in der Mitte trägt er es gescheitelt, die Strähnen reichen bis Zur Schulter. Seine Kleidung in den Farben Grün und Rot, mit reichlichem Pelzbesatz, wirkt etwas nachlässig. Er trägt etlichen Goldschmuck.
Er neigt zum Jähzorn. Sein Personal behandelt er harsch. Seinen Eberspieß, ebenso Waffe wie Jagdgerät und Herrschaftssymbol, hält er ständig griffbereit. Wenn er bei Tische sitzt, lehnt der Spieß an seinem Sessel.
Cedrics Reichtum sind Viehherden, besonders Schweine, die er von Hirten durch die nahen Wälder treiben lässt. Er geht gerne zur Jagd. Für Abwechslung bei den Mahlzeiten sorgt ein Spaßmacher, ein Narr, mit Namen Wamba. Daneben kennt man sehr viel größere und festlichere Zerstreuungen, sie sind allgemeiner Stil der Zeit: große Ritterturniere, in denen Wettbewerber gegeneinander antreten, unter den Augen des Herrschers, das ist hier, infolge Richards Abwesenheit, dessen Bruder Johann. Cedric und Rowena nehmen als Zuschauer daran teil. Alles beginnt damit, dass die Herolde die Turnierregeln verlesen: »So war den Kämpfern der Stoß mit dem Schwerte untersagt und nur der Hieb gestattet. Der Ritter durfte die Streitaxt und die Keule führen, allein der Dolch war eine verbotene Waffe. Ein vom Pferde geworfener Ritter konnte den Kampf mit einem Ritter der Gegenpartei, der sich in gleicher Lage befand, fortsetzen, allein zu Pferde durfte ihn niemand angreifen. Konnte ein Ritter den andern bis an das äußerste Ende der Schranken drängen, so dass er die Palisaden mit dem Körper oder den Waffen berührte, so musste sich dieser für besiegt erklären, und Pferd und Rüstung waren dem Sieger verfallen. Ein Ritter, der so besiegt wurde, durfte nicht weiter an dem Kampfe des Tages teilnehmen. Wurde einer niedergeworfen und war er unfähig, sich wieder selbst zu erheben, so sollte seinem Knappen gestattet sein, in die Schranken zu treten, um ihn aus dem Gedränge zu ziehen; allein auch in diesem Fall war der Ritter überwunden, und Rüstung samt Streitross waren dem Sieger verfallen.
Der Kampf sollte zu Ende sein, wenn Prinz Johann mit seinem Stabe das Zeichen geben würde, damit nicht durch zu lange Fortsetzung des Kampfes unnötigerweise Blut vergossen würde. Jeder Ritter, der die Turniergesetze überschritt oder auf andere Weise die Regeln des ehrenhaften Rittertums verletzen würde, sollte seiner Waffen beraubt, der Schild ihm umgekehrt und er so auf den Palisaden reitend zur Strafe seines unritterlichen Benehmens dem öffentlichen Gelächter preisgegeben werden. Nachdem die Herolde diese Gesetze verkündet hatten, schlossen sie mit einer Ermahnung an jeden guten Ritter, seine Schuldigkeit zu tun und die Gunst der Königin der Liebe und Schönheit zu verdienen. Jetzt begaben sich die Herolde auf ihre Plätze zurück; die Ritter zogen in langem Zuge an den beiden Enden der Schranken ein und ordneten sich in einer doppelten Reihe einander gegenüber. Gerade in der Mitte des Zuges nahm der Führer jeder Partei seinen Platz, doch begab er sich nicht eher dahin, als bis er alle seine Begleiter sorgsam geordnet und jedem in seiner Schar seine Stelle angewiesen hatte. Es war ein schöner, aber zugleich auch beunruhigender Anblick, so manchen tapferen Kämpfer wohlberitten und reich bewaffnet zu dem furchtbaren Kampfe bereit zu sehen. Gleich ebenso vielen Pfeilern saßen sie regungslos in ihren Streitsätteln, das Zeichen zum Angriff mit gleicher Begier erwartend wie ihre mutigen Hengste, die, vor Ungeduld wiehernd, mit dem Hufe den Boden stampften. Jetzt hielten die Ritter ihre langen Speere gerade in die Höhe, und die Spitzen funkelten in der Sonne, während die Fähnlein über den Federbüschen der Helme flatterten. So blieben sie, während die Marschälle des Feldes ihre Reihen mit der größten Genauigkeit musterten, damit keine Partei mehr oder weniger als die bestimmte Anzahl Kämpfer habe. Alles wurde richtig befunden. Die Marschälle zogen sich aus den Schranken zurück, und William de Wyvil rief mit donnernder Stimme: „Laissez aller!“ Die Trompeten ertönten, die Speere der Kämpfer senkten sich, und zum Angriff bereit- die Sporen in die Flanken der Pferde gedrückt - stürmten die Vorderreihen jeder Partei in gestrecktem Galopp aufeinander los, und das donnernde Krachen, mit dem sie in der Mitte der Schranken zusammentrafen, war eine Meile weit zu hören.« Auch bei Cedric dem Sachsen handelt es sich um eine literarische Erfindung. Sie hat ihrerseits historische Dimension, denn sie entstand vor mittlerweile fast zweihundert Jahren und wurde zum prägenden Muster einer seither äußerst erfolgreich gepflegten Form der Belletristik, dem historischen Roman. Urheber war der Dichter Walter Scott aus dem schottischen Edinburgh, die zitierten Figuren und Szenen entstammen seinem bei weitem populärsten Roman, ››Ivanhoe«; Cedric ist der Vater des Titelhelden.
Man weiß, dass Scott mit dem geschichtlichen Material relativ großzügig umgegangen ist. Andererseits war er ein durchaus skrupulöser Rechercheur, und in den Details hielten sich seine Beschreibungen ganz auf der Höhe des damals Bekannten, das sich in vielem mit unserem heutigen Wissen deckt. Scott benutzte ausführlich die einigermaßen verlässliche Chronik des Franzosen Jean Froissart. Für das im 19. Jh. einsetzende und bis heute anhaltende Mittelalter-Interesse bleibt Scott eine Schlüsselfigur. Auch deshalb ist es angemessen, an dieser Stelle auf ihn hinzuweisen.